Klatschkolumne
Sofort fiel mir dieses merkwürdige Notizbuch in der Vitrine zuhause ein - mit seinen vier Seiten aus inzwischen angegilbtem Elfenbein. Darauf malte meine Urgroßmutter Mathilde aus Holdenstedt auf den hannoverschen Bällen die Namen derjenigen Herren, mit denen sie die nächsten Tänze verabredet hatte. ,,Bal" stand auf dem Deckel dieser Tanz- und Tänzerliste und auch der Deckel war aus Elfenbein, dessen Nutzung damals nur schön war. Und noch nicht kriminalisiert, wie heute. Zu recht.
Dieses ferne Symbol romantischer Ballzeiten fiel mir ein, als ich jetzt auf dem Ball des Bundesgrenzschutzes am Hainberg zusammen mit der Gästeliste dies kleine Heftchen ausgehändigt erhielt. Gelber Umschlag, graue Notizzettel darin. Mit Tisch-Nr. und Namensrubrik
Ich war erstmals da und wunderte mich nicht über die Tanz- und Tänzerliste. Sie stimmte mit meiner (Wunsch-) Vorstellung von einem Ball mit Offizieren des Bundesgrenzschutzes überein. Die legen noch Wert auf Rituale. Warum nicht auch jene Tanzlisten von damals wieder aufleben lassen? Zumal die Sache mit den Pflichttänzen und Kürtänzen, den höflichen Tänzen und den erotisch spannenderen Tänzen (kann sich durchaus vermischen) durch dieses Heftchen eine klare Struktur bekommt. Sehr hilfreich. Und dass der BGS heut kein Elfenbein mehr benutzt, zeugt von ökologischer Reife.
Meine Vorstellung stellte sich jedoch als Klischee her aus. Ich wurde freundlich belehrt, dass man mit diesen Zettelchen die Getränke bestelle, keine Tänze. Geschweige Damen einfach so sammeln könne ... Und wenn, dann würde man das nicht auf grauem Umweltschutzpapier tun, nicht wahr?
Also bestellte ich mit dem ersten Zettel brav Getränke und bedauerte meinen Irrtum laut. Meine Gegenüber-Tischdame jedoch fand meinen Irrtum irgendwie nett und auch schade, dass es dies Ritual nicht mehr gab. Kurzum: Der Abend endete bei mir mit einem vollen Heftchen mit Damen. Ich meine Namen von Damen. Und noch dazu gefüllt mit neuen Varianten: Manche Herren bestanden darauf, mit ihrer Unterschrift unter die ihrer Dame, dass sie einverstanden seien, wenn mein soundsovielter Tanz mit der ihrigen sein würde. Von wegen Versicherung, Unversehrtheit und so, nicht wahr?
Einer sogar nutzte meine Methode für sich: Und beantragte bei Christine seinerseits einen Tanz. Schriftlich. Wie gesagt, die Methode hilft klar zu strukturieren. Nur ein (Ehe-)Mann reagierte misstrauisch und unterstellte mir, dass ich mit den Unterschriften anderer meine Getränke bezahlen lassen wollte. Aber ansonsten: Ein feiner Ball! Urgroßmutter Mathildes Tänzerliste nehme ich jetzt immer mit.
PS: Das Elfenbein übrigens, das war dazu da, das Urgroßmama die mit Bleistift darauf gemalten Herrennamen auch ausradieren konnte. Es konnten sich schließlich im Ballverlauf Prioritäten ändern und überraschende Favoriten vertrieben die ordentlich Angemeldeten. Aber solche verwirrende Gruppendynamik braucht und darf ein BGS-Ball nicht. Weshalb er eben keine Tänzerlisten in die Gästelisten legte.
8. Februar 2000